Auszug

Eine indische Tempel-Puja im Selbstversuch


8.212 Zeichen - S. 85 - 89


Mal wieder am Tempel vorbei schauen. Er lag unweit des Hotels in einer Seitenstraße der Main Street. Es gab auch Moscheen in der Stadt, doch hinduistische Gotteshäuser dominierten. Kniehohe Tempel wie bei Devesh an der Tanke sind in der Stadt in Bäume oder in Hausmauern integriert und werden von Passanten genutzt. Schrankhohe Tempel zwischen Bürgersteig und Straße richten sich an Verkehrsteilnehmer für eine schnelle Andacht. Desweiteren ragen aus allen Nachbarschaften die Zinnen und Wimpel großer Tempel, der gesamte Ort ist von ihnen durchnetzt.

Tempel sind mehr als Orte des Religiösen, sie sind Treffpunkt. Familien finden sich an allen Wochentagen ein, sie vollziehen Rituale, halten sich danach in den Hallen und Flügeln auf und unterhalten sich mit Verwandten, Nachbarn, Freunden und Fremden auch auf dem Vorplatz. Man kann Picknick machen, meditieren und auf Gesimsen oder am Boden eine Runde schlafen. Kinder haben Auslauf, sie tollen laut umher, und es ist kein Problem, wenn sie auf dem Reittier von Shiva, dem steinernen Stier Nandi, herumklettern. Tempel sind Orte, an denen das Gesellschaftliche verhandelt wird, Hochzeiten werden verabredet, Kindern erzählt man Geschichten und Klatsch wird ausgetauscht.

Die Anlage zwischen Wohnhäusern war weitläufig, aber nicht riesig. Am Eingangstorbogen mit steinernem Rankwerk und Blumen grüßten fratzenartige Köpfe mit großen Augen und aufgerissenen Mäulern vom Gesims. Sie wehren Unheil und Ungläubige ab. Drei Stufen hinauf auf einem kleinen Vorplatz gilt es die Schuhe auszuziehen. Man muss sie später wieder finden. Dann drei weitere Stufen, und ich betrete gewissermaßen den Partyspace. Viel los da, man sitzt auf dem Boden vor dem Tempelbau oder auf steinernen Bänken. Ich nehme im Schatten auf einer Stufenmauer Platz und bin verblüfft vom Dach des Gebäudes, denn Götter, Dämonen, Seeungeheuer und Fabelwesen ragen an Fassaden und Giebeln wie auf einer Geisterbahn.

Neulich hatte ich auch hier gesessen, ich las in einem Buch und wurde von einem Brahmanen angesprochen. Er, Bodhi, sei angehender Priester. Er trug einen weißen Lungi und einen orangenen Schal über dem weißen Hemd, sprach gut englisch und hatte Freude, mich durch den Tempel zu führen.

Wisse, sobald du einen Tempel betrittst, befindest du dich in einer Nachbildung des Alls, in dem die Schöpfung geschah. Der Lotus über uns an der Decke zeigt das Weltenmeer, und die Wasserschlangen da und auch dort oben sind Vishnus Schöpfungsgehilfen. Schlangen symbolisieren die Ewigkeit, denn sie sind in der Lage, ihre Haut und damit die Sterblichkeit abzustreifen. Ein Tempel sei stets auch die Miniaturausgabe eines Götterschlosses, der Hausherr sitzt zentral auf einem Thron oder auf einem Lotus, doch viele weitere Götter sind anwesend und können verehrt werden. Bodhi führte mich vom Hauptraum durch die Wandelgänge und erklärte mir Details. An einer Statue in einer schön ausgestatteten Nische deutete auf eine kleine Wasserschale. Ich möge mit einer Fingerkuppe einen Wassertropfen fassen und den Fuß der Gottheit damit benetzen. Damit hätte ich den Gott in einem riesigen Meer gebadet, mit allen Fischen, die da schwimmen, und so temperiert, wie es die Gottheit gerne mag.

Seitlich des Hauptschreins reichte ein schwarzes Gitter bis zur Decke, Blumen und Räucherstäbe steckten im Metallgeflecht. Dies sei eine Opfersäule, hier habe man in alten Zeiten Tiere geopfert. Heute war das Gitter eine Art Pinnwand für Wünsche. Möge ich mir eine Blume nehmen und dann irgendwo ablegen, ins Gitter stecken oder einer Skulptur zu Füßen legen. Dabei solle ich intensiv an etwas denken. Ok, ich machte das, ich dachte, möge es nun weltweit Blumen regnen, möge die Gerechtigkeit zunehmen.

Wir setzten uns wieder raus und ich erzählte ihm, dass Pfarrer in meiner Heimat teilweise nicht heiraten dürfen. Das verwunderte ihn sehr. Wie soll sich dann aber die Kaste der Priester weiter vermehren? Tja, gute Frage.

Er wohne bei seinen Eltern, bete früh morgens am Hausaltar, meditiere zum Sonnenaufgang im Tempel und begleite dann mit dem Hauptpriester, von dem er viel lerne, das Erwachen der Götter. Sie erwachen nur, wenn sie aktiv aufgeweckt werden. Bevorzugen sie tea or coffee, wollte ich wissen. Ach, sie mögen alles, was auch Menschen mögen. Sie sind wie Menschen, übermenschlich zwar, doch beste Freunde. Morgens werden die Seidenkissen aufgeschüttelt, Schlaf wird aus den Augenwinkeln getupft, Wimpern werden geschminkt, Ölkerzen werden nachgefüllt und die Kleidung wird zurechtgerückt. Vom Markt kommen frische Blumengirlanden. Es sei durchaus aufwändig, die Götter mit dem orangenen und weißen Schmuck auszustatten. Derweil spreche er mit ihnen und singe Mantras und Lieder. Götter mögen das. Dabei gehe es bei weitem nicht nur um den Hauptgott, alle im Tempel anwesende Götter werden der Reihe nach lebendig. Lebendig!? Na klar, sie leben, sie sind anwesend und hellwach. Wir, die Priester haben ihre Augen geöffnet, und wenn die ersten Gläubigen am Morgen kommen, sind die Götter bereit, Segnungen zu erteilen. Die Gläubigen freilich müssen ihrerseits ihre Aufmerksamkeit gewinnen.

Die Skulpturen sind so lebendig wie Lebewesen. In ihnen werden all die Kräfte wach und die Geschichten sichtbar, die man von den Göttern kennt. Die Priester vermögen durch Rituale und Zaubersprüche den energetischen Austausch zu verstärken, denn sie haben die Götter gut im Griff. Es gibt viele Arten an Verehrungs-Pujas, je nach Tageszeit und den Anliegen der Gläubigen. Oft werden Mantren gesprochen, Früchte, Reis, Blüten und Räucherstäbchen als Geschenke dargeboten, oft aber werden auch Speisen gesegnet, die man nach der Puja mitnehmen und essen kann. Brahmanen dürfen verbleibende Kokosnüsse, Bananen, Mangos und Süßigkeiten verzehren. Da sie aber so viel gar nicht essen können, werden die Gaben an die Armen der Stadt und an Kühe verteilt.

Ich war der Idee Bodhis gefolgt und hatte Kleinigkeiten für eine Puja dabei. Eine indisch kleine Banane, ein Räucherstäbchen, das ich anzündete, nachdem er mich vor dem Tempel entdeckte. Kekse, meine Lieblingssüßigkeit Honigmilchkugel mit Kokosflocken und einen Kaugummi in Alu. Mag Gott Kaugummi!? Na warum nicht! Geschmacksrichtung peppermint or patchpouli? fragte er lachend.

Na dann mal los. Ich drapierte die Gaben auf meinem Blechteller, steckte das Räucherstäbchen in die Banane und stellte mich an. Bald saß ich im Schneidersitz vor dem Hauptpriester und der Gottheit auf dem Marmorboden. Vor mir auf einem Sockel roten Stoffes und goldener Hintergrundfresken standen Ölschalen, Kerzen brannten und es duftete nach den Blumen der Blütenkränze, die um die Gottheit drapiert waren. Ich ließ den Laut Ohm aus meiner Seele kommen, faltete die Hände und beuge mich der Gottheit zu und auch dem Priester. Der wedelte mir mit der Hand den Ruß einer Öllampe von drei Seiten ins Gesicht, er murmelte ein Mantra. Bodhi hatte gemeint, ich solle nun mit einem eigenen Mantra einsetzen. Da ich aber kein Mantra parat hatte, sang ich eine Strophe von Die Gedanken sind frei. Dann deutete der Priester an, ich möge ihm den Teller mit meinen Gaben reichen. Er hielt ihn in Bauchhöhe der Gottheit, brachte eine Glocke zum Läuten, wedelte Gottheit und Gaben mit einem Pfauenwedel zu, und ich erhielt den dunkelroten Punkt des dritten Auges auf die Stirn. Es verstärkt die innere Weisheit und Bodhi erläuterte nachher, eine Stirn ohne den Punkt sei wie ein Dorf ohne Tempel, ein Brunnen ohne Wasser, eine Blume ohne Duft.

Innere Weisheit verspürte ich nicht, doch vor allem nahm ich nichts an der Skulptur als lebendig wahr. Der Priester ermunterte mich, mit der Hand den Rauch der Öllampe an mein Gesicht zu wedeln, er verbeugte sich vor dem Gott, und ich tat dies händefaltend auch. Eine kleine Irritation gab es, da ich den Teller zurück haben wollte. Der Priester verstand es, schob meine Gaben auf eine andere Schale und steckte den Geldschein ein, den ich an die Banane gelegt hatte. Bodhi strahlte durch seine wunderbar weiß leuchtenden Zähne und fand meine Puja schon mal ganz gut. Mir war das alles viel zu schnell gegangen. Ich hätte mich mit hundert Ohms einstimmen müssen, vielleicht mit tausend. Nun ja, so Bodhi, ich könne ja in meinem Haustempel üben.


Weiter mit:

...  - Schach - Billigfusel in Spelunke - Fernsehen - Ausmisten - Eine Zugfahr die ist lustig  -  ...